Teil 3 zum ZEQ-COVID-19-Szenariorechner: Die Gretchenfrage der Methodik

Wir können uns der Betrachtung der Szenarien grundsätzlich von zwei Blickpunkten nähern: Zum einen können wir auf Basis epidemiologischer Erkenntnisse zur Infektionsrate und anderen relevanten Faktoren simulieren, wie sich die Infektion ausbreiten wird. Dies ist insbesondere dann vielversprechend, wenn möglichst viel über die relevanten Faktoren der Infektion bekannt ist. Je mehr Schätzungen in die Simulationen einfließen, desto größer die Bandbreite zu betrachtender Szenarien. Es gibt eine Vielzahl hervorragender Simulationstools, die mit diesem Ansatz den Verlauf der Pandemie vorherzusagen versuchen.

 

Für den durchschnittlichen Anwender bringt dieser Ansatz allerdings ein zentrales Problem mit sich: Die Schätzung einer Infektionsrate, einer Rate eingeschleppter Fälle von außerhalb auf Basis der Mobilität oder einer Milderungsrate aufgrund der gesellschaftlichen Präventionsmaßnahmen ist für den Fachexperten schon extrem schwierig, für alle anderen fast unmöglich.

Der zweite wichtige Ansatz beruht auf der Hochrechnung des aktuellen Verlaufs und damit einer statistischen Vorhersage der weiteren Entwicklung. Für diese Methodik bedarf es einer geeigneten Idee zur Bestimmung des Wachstumsverlaufs. Dafür gibt es eine Vielzahl möglicher Varianten, die mehr oder weniger genau zum Verlauf der Pandemie passen. Es gilt der statistische Grundsatz „All models are wrong (but some are useful)“ (Deutsch: „Alle Modelle sind falsch (aber manche sind nützlich)“). Kein Modell wird also hundertprozentig den tatsächlichen Verlauf prognostizieren und abbilden können. Geeignete Modelle können allerdings bei der Vorbereitung auf die Pandemie hilfreich sein. So wurde gerade zu Beginn häufig vor einem exponentiellen Verlauf der Infektion gewarnt, also von einem Wachstum überproportional zum Bestand (siehe Abbildung 2). Je größer die Zahl der Infizierten, desto größer die Zahl der Neu-Infektionen. Dass ein solches Modell irgendwann an eine natürliche Grenze stößt (das Wachstum muss irgendwann absinken, da es zu wenige noch nicht erkrankte Personen gibt), stand dabei nicht im Vordergrund, da so die Dringlichkeit der Lage verdeutlicht werden konnte.

Für die Vorbereitung unseres Gesundheitswesens allerdings ist ein solches Wachstumsmodell nicht hilfreich: Eine exponentielle Prognose ist zu weit von der tatsächlichen Fallzahlentwicklung entfernt, um adäquate Maßnahmen zu treffen. Eine passendere Darstellung ist vermutlich eine logistische Wachstumskurve (Abbildung 3). Dabei nimmt das Wachstum durch die Zahl der bereits vorhandenen Fälle zu, bis es zu einem bestimmten Zeitpunkt anfängt, zu stagnieren oder sogar abzunehmen. Die Gesamtfallzahl wird maximal eine (definierte) Obergrenze (in diesem Fall nach Erwartungen verschiedener Virologen ca. 70% der Bevölkerung, also ca. 60 Millionen Menschen erreichen.

Modelle und die Realität

Die Realität ist allerdings ein extrem komplexes Geschehen. Die Fallzahlentwicklung verschiedener Länder zeigt keinen so deutlichen Verlauf, wie von verschiedenen Modellen prognostiziert. Dies hat mit vielen Faktoren zu tun: Testgenauigkeit und –menge sowie gesellschaftliche Präventionsmaßnahmen sind nur zwei der Variablen, die sich auf die tatsächliche Fallzahlentwicklung auswirken.

Betrachtet man die weltweiten Fallzahlen (Abbildung 4) erkennt man eine Zunahme der Wachstumsraten. Auf europäischer Ebene nimmt die Wachstumsrate in den letzten Tagen bereits ab (Abbildung 5). In Deutschland und Italien (Abbildung 6 und 7) zeigt sich eine deutliche Zunahme des Wachstums, aktuell aber eine Stagnation der Wachstumszahlen, das heißt sogar ein Rückgang der prozentualen Wachstumsrate. Insbesondere für Deutschland werden in den letzten Tagen allerdings Fallzahlzuwächse berichtet, die keinem klaren Muster folgen. In Ländern, die sich bereits länger mit Corona auseinandersetzen, zeigt sich ein Wachstumspeak, gefolgt von einem Rückgang der Zuwächse. Abbildung 8 und 9 zeigen die Zuwächse für China und Südkorea, die dies verdeutlichen. Welcher langfristige Verlauf auf Deutschland und das deutsche Gesundheitswesen zukommt, ist aktuell noch nicht klar absehbar und auch intensiv vom gesellschaftlichen und politischen Umgang mit der Pandemie abhängig.

Diese Vielfalt möglicher Szenarien zeigt sich auf detaillierter Ebene sogar noch deutlicher: Die uns von unseren Anwendern berichteten Fallzahlverläufe in ihren jeweiligen Regionen zeigen zwar teilweise einen ähnlichen Verlauf wie auf nationaler Ebene, häufig aber größere Schwankungen oder Abweichungen zum gesamtdeutschen Trend.

Was aber bedeutet diese Entwicklung nun für unsere Szenarioberechnung? Diesem Thema widme ich mich im nächsten Beintrag dieser Blogreihe.

Lesen Sie hier weiter »Teil 4: Die Qualität der Modellierung mit unserer Prognosemethodik

Abbildung 1: Simulationsmethodik, Abbildung aus dem Tool CovidSIM (www.covidsim.eu)

Abbildung 2: Wachstumsmodelle, exponentielles Wachstum ist grün dargestellt (Quelle: Wikipedia)

Abbildung 3: Beispiel einer logistischen Wachstumskurve (Quelle: GeoGebra)

Abbildung 4: Fallzahlzuwachs pro Tag, Weltweit (Quelle: ECDC)

Abbildung 5: Fallzahlzuwachs pro Tag, Europa (Quelle: ECDC)

Abbildung 6: Fallzahlzuwachs pro Tag, Deutschland (Quelle: ECDC)

Abbildung 7: Fallzahlzuwachs pro Tag, Italien (Quelle: ECDC)

Abbildung 8: Fallzahlzuwachs pro Tag, China (Quelle: ECDC)

Abbildung 9: Fallzahlzuwachs pro Tag, Südkorea (Quelle: ECDC)

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